1. Struktur und Aufbau von ENP

1.2 Präkombinationen von Begriffen der ENP-Pflegeklassifikation – Teil B

In ENP werden die Elemente der Pflegeklassifikation präkombiniert, d. h. die Kombination einzelner Begriffe und Elemente gilt in ihrer gesamten Form als Deskriptor. Beispielsweise besteht die große Mehrzahl (etwa 4/5) aller Pflegediagnosen aus einem aktuellen oder potenziellen Pflegeproblem (Begriff aus der Kategorienebene der Gruppe Pflegeprobleme) und einer Spezifikation (Begriffe aus der Gruppe der Kennzeichen, Ursachen oder Pflegeinterventionen). Neben den Pflegediagnosen sind auch die Pflegeinterventionen in ENP präkombiniert. Im Sinne eines besseren Verständnisses illustrieren die nachstehenden Kapitel Vorgehen und Aufbau der Präkombination anhand von Beispielen.

Präkombinatorische ENP-Pflegediagnosen

Eine ENP-Pflegediagnose entsteht durch die Kombination eines Pflegeproblems aus der monohierarchischen Struktur des Teilbereichs A sowie einer Spezifikation in Form einer Ursache oder eines Kennzeichens des jeweiligen Pflegeproblems/-phänomens.

Präkombinatorische ENP-Pflegediagnosen

So setzt sich etwa die präkombinierte ENP-Pflegediagnose „Der Patient3 ist aufgrund einer gestörten Handlungs-/Bewegungsplanung und -ausführung beim An-/Auskleiden beeinträchtigt“ zum einen aus dem Pflegeproblem „An-/Auskleiden beeinträchtigt“ und der Ursache „gestörte Handlungs-/Bewegungsplanung und -ausführung“ zusammen. Die exemplarisch aufgeführte Pflegediagnose ist der Kategorie Selbstfürsorgedefizit Kleiden zugeordnet.

Ein weiteres Beispiel wäre etwa „Der Patient hat aufgrund einer Dystelektase (Minderbelüftung der Lunge) das Risiko einer Atelektase/Pneumonie“, wie in der folgenden Abbildung dargestellt:

Abbildung 2: Präkombination einer ENP-Pflegediagnose.

Anhand dieser Beispiele wird deutlich, wie die ENP-Pflegediagnose präkombinatorisch aus den Begriffen der Pflegeklassifikation zusammengesetzt wird.

Jede ENP-Pflegediagnose seit Version 3.0 erhält für eine eindeutige Anwendung zudem eine Definition (vgl. auch Anhang G). Diese ist sowohl für Ausbildungszwecke als auch für Pflegepersonen, welche die pflegediagnostischen Konzepte nicht kennen, als Unterstützung und Förderung eines einheitlichen Verständnisses entwickelt worden. Zwar werden die Definitionen in der Regel durch die hohe Granularität der ENP-Pflegediagnosen, d. h. deren Grad an Detailliertheit, Genauigkeit und Ausdruckskraft, in der täglichen Anwendung von ausgebildeten Pflegepersonen nicht zwingend benötigt, da diese bereits eindeutig formuliert sind und nur wenig Spielraum für Interpretationen bieten. Nachfolgend ein Beispiel zur Darstellung des Aufbaus der Definition einer ENP-Pflegediagnose.

„Der Patient kann aufgrund von Desorientierung die Körperwaschung nicht selbstständig gestalten"."

Definition:

Eingeschränkte oder fehlende Fähigkeit, aufgrund einer beeinträchtigten mentalen Funktion der (Selbst-)Wahrnehmung, welche erforderlich ist, um sich zeitlich, örtlich, situativ und/oder zur eigenen Person zu orientieren, den ganzen Körper oder Körperteile mit Wasser und/oder Pflegeutensilien zu reinigen.

Deutlich wird, dass in der Definition die beiden Konzepte „Desorientierung“ und „Körperwaschung nicht selbstständig gestalten können“ Beachtung finden. Es wird versucht, die zentralen Elemente einer ENP-Pflegediagnose durch die genaue Bestimmung der verwendeten Begriffe zu beschreiben und/oder zu erklären.

Befindet sich bereits in einer ENP-Pflegediagnose eine Spezifikation in Form einer Ursache oder eines Kennzeichens, so beziehen sich sowohl die angebotenen Ursachen als auch die Kennzeichen auf die beiden Bestandteile der jeweiligen Pflegediagnose. Zum besseren Verständnis ein Beispiel:

Bezugspunkte der Kennzeichen und Ursachen in ENP

Abbildung 3: Bezugspunkte der Kennzeichen und Ursachen in ENP.

Pflegediagnosen, bei denen es fachlich hilfreich ist, den Grad der Beeinträchtigung auf Kennzeichenebene auszuweisen, werden mit Hilfe einer Likert-Skalierung des Beeinträchtigungs-/Abhängigkeitsgrades dargestellt. Hierzu ein Beispiel:

 Der Patient ist in der Transferfähigkeit beeinträchtigt.

Kennzeichen:

  • Beeinträchtigte Transferfähigkeit vom Bett in den (Roll-, Lehn-) Stuhl
  • Beeinträchtigte Transferfähigkeit vom (Roll-, Lehn-) Stuhl in das Bett
  • Beeinträchtigte Transferfähigkeit vom Rollstuhl zur Toilette
  • ...

Und:

Beeinträchtigungsgrad des Transfers

Stufe 1: Selbstständiger Transfer mit Hilfsmitteln
Stufe 2: Geringe Beeinträchtigung des Transfers
Stufe 3: Erhebliche Beeinträchtigung des Transfers
Stufe 4: Schwere Beeinträchtigung des Transfers
Stufe 5: Verlust der Transferfähigkeit

Wünschenswert und auf der Entwicklungsagenda für die mittel- bis langfristige Zukunft angesetzt ist eine konkrete Operationalisierung der Beeinträchtigungsgrade je nach klinischem Kontext der zugehörigen ENP-Pflegediagnose, um ein eindeutiges Verständnis der einzelnen Abstufungen unter allen ENP-Anwendern, und damit eine möglichst einheitliche Auswahl, sicherstellen zu können.

Präkombinatorische ENP-Interventionen 

Für die Gruppe der Pflegeinterventionen werden ebenfalls Präkombinationen gebildet. Im Unterschied zu den ENP-Pflegediagnosen besteht die Präkombination hier jedoch aus verschiedenen Elementen der Gruppe Pflegeinterventionen und der Gruppe der Interventionsspezifikationen. Den Pflegeinterventionen sind Interventionsspezifika zugeordnet. Diese können weitere Angaben enthalten, etwa bezüglich Häufigkeits-/Frequenzangaben, Unterstützungsgrad der betroffenen Person bei der Durchführung der Pflegeintervention, Anzahl der benötigten Pflegepersonen, benötigte Pflegehilfsmittel oder Produkte, Lokalisations-/Ortsangabe, auf die sich die Intervention bezieht, Zeitangaben, etc.

Die Ebenen der präkombinierten Pflegediagnosen und Pflegeinterventionen werden aus dem Pflegeklassifikationssystem ENP gebildet. Diese präkombinierten Pflegediagnosen und Pflegeinterventionsformulierungen sind die Formulierungen, die von den Pflegenden zur Pflegeprozessdokumentation genutzt werden. Die Abgrenzung von den pflegeklassifikatorischen Elementen von ENP zu den präkombinatorischen Elementen wird durch die horizontale graue Linie in der weiter oben vorgestellten Abbildung 1 dargestellt, während die Relationen über die Verbindungslinien dargestellt werden. Nachfolgend wird skizziert, wie den Pflegeinterventionskonzepten handlungsleitende Interventionsspezifikationen zugeordnet sind:

Ein Beispiel aus der Gruppe Pflegeinterventionen:

Domäne: Pflegeinterventionen im funktionalen/physiologischen Bereich
Klasse: Körperpflege/Kleiden
Kategorie: Körperwaschung durchführen
Subkategorie:  Ganzkörperwaschung individuell durchführen                                                                 Teilkörperwaschung durchführen
Beim Duschen unterstützen
Beim Baden unterstützen            
Basal stimulierende Körperwaschung nach Bobath durchführen

Die Interventionsformulierung „Teilkörperwaschung individuell durchführen“ ist für eine Handlungsanweisung im Rahmen der Pflegeprozessplanung nicht konkret genug. Details zu Fragen, wie beispielsweise nach dem Ort, an dem die Körperwaschung durchgeführt wird und welcher Unterstützungsgrad notwendig ist, bleiben unbeantwortet. Daher werden die ENP-Interventionen weiter konkretisiert. Somit entsteht im Pflegeplan eine genaue Handlungsanweisung für die individuelle sowie bedarfs- und bedürfnisgerechte Durchführung der pflegerischen Versorgung. Der Pflegeintervention „Teilkörperwaschung individuell durchführen“ sind beispielsweise folgende Interventionsspezifika zugeordnet:

  • Zu waschendes Körperteil:
    • Gesicht/Hände
    • Arme
    • Brust
    • Rücken
    • Beine
    • Intimbereich vorne
    • Intimbereich Gesäß
  • Unterstützungsgrad angeben
    • Beaufsichtigen
    • Durch Unterstützung helfen
    • Teilweise übernehmen
    • Vollständig übernehmen
    • Aktivieren/anleiten
  • Ort der Teilkörperwaschung
    • Im Bett
    • Am Bettrand
    • Am Waschbecken/Lavabo
  • Verwendetes Pflegeprodukt angeben
  • Häufigkeit/Zeitangabe

Grundsätzlich können den Pflegeinterventionsformulierungen unter anderem folgende Interventionsspezifika zugeordnet werden:

• Konkretisierende Aspekte des zugrundeliegenden Interventionskonzeptes
• Unterstützungsart
• Anzahl der benötigten Pflegepersonen
• Verwendete Pflegeprodukte
• Ortsangaben, wo die Körperwaschung stattfinden kann
• Intervallangaben
• Zeitangaben
• Lokalisation der Körperregion
• Verwendete Hilfsmittel
• Berufsgruppen, die am Versorgungsprozess beteiligt sind

___________________________

3 Die Bezeichnung „Patient" kann im Rahmen von Softwareanwendungen je nach Setting und Geschlecht der betroffenen Person ersetzt werden durch Patient*in, Bewohner*in, Klient*in oder eine diverse Geschlechtsbezeichnung. Auch die Verwendung des (Nach)Namens ist alternativ möglich.

ENP Wissenschaftliche Hintergründe

Buch ENP-Praxisleitlinien

Pia Wieteck
ENP-Praxisleitlinien
(3. Aufl.)

Planen und Dokumentieren auf Basis von Pflegediagnosen der Klassifikation ENP (inkl. kostenfreiem Download der Lernsoftware)

Buch Praxisleitlinien Altenpflege (5. Aufl.)

Pia Wieteck
Praxisleitlinien Altenpflege (5. Aufl.)

Planen, Formulieren, Dokumentieren mit ENP-Pflegediagnosen

Buch Praxisleitlinien Pflege

Pia Wieteck
Pflegediagnosen für die Altenpflege

Handlich, praktisch und übersichtlich – die neue Reihe der ENP-Pflegediagnosenbücher.

Buch Kriteriumsvalidität von ENP®

Simon Berger
Kriteriumsvalidität von ENP

Abbildung von individuell formulierten Pflegeprozessplanungen mit der standardisierten Pflegefachsprache ENP®

Buch Pneumonieprophylaxe bei Krankenhauspatienten

Horst Konrad
Pneumonieprophylaxe bei Krankenhauspatienten

Analyse von Daten der Pflegeklassifikation ENP® in elektronischen Patientenakten

Buch Validierung von Pflegediagnosen der Pflegeklassifikation ENP®

Pia Wieteck
Validierung von Pflegediagnosen der Pflegeklassifikation ENP

Crossmappings von ENP® mit ICNP® und NANDA