1. Struktur und Aufbau von ENP

1.7 Die Entwicklung und
Weiterentwicklung von ENP

Die historische Entstehung und Weiterentwicklung von ENP ist in zahlreichen Buchpublikationen veröffentlicht (vgl. z. B. Wieteck, 2003, 2004b, 2013, 2014). Eine zusammenfassende Änderungsdokumentation von einer Version zur darauffolgenden ist in den regelmäßig veröffentlichten Wissenschaftlichen Hintergründen zu ENP nachzulesen, mit dieser Ausgabe ist die Änderungsdokumentation aus Gründen der Lesbarkeit und Übersichtlichkeit im Anhang der Wissenschaftlichen Hintergründe zu finden. Nachfolgend werden die zentralen Entwicklungsschritte sowie die aktuelle, systematische Weiterentwicklungsstrategie kurz skizziert.

ENP ist als standardisierte Pflegeklassifikation mittels international standardisierter Objekt-Identifikatoren (OID)5 zur Objekterkennung im Bereich „Deutsches Gesundheitswesen“ registriert. Damit wird ein Informations- und Datenaustausch zwischen telematischen Systemen wie etwa elektronischen Akten möglich. Die Informationen zu ENP können auf der Homepage des Deutschen Instituts für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) eingesehen werden6. Vergeben werden die Objekt-Identifikatoren in Deutschland durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).

Seit dem Jahr 2011 und damit Versionsnummer 2.6 hat ENP die OID-Nummer 1.2.276.0.76.5.407 sowie den symbolischen Namen (symbolic name) „european-nursing-care-pathways“. Die zugehörige Abstract Syntax Notation One (Abstrakte Syntaxnotation Eins, kurz ASN.1) lautet {iso(1)member-body(2)de(276)din-certco(0)gesundheitswesen(76)kodierschemata(5)european-nursing-care-pathway(407)}.

Im Jahr 2020 (ENP Version 3.1) wurde eine neue OID-Nummer beantragt, sie lautet 1.2.276.0.76.5.515. Der zugehörige symbolische Name lautet „enp2020“, die ASN.1 {iso(1)member-body(2)de(276)din-certco(0)gesundheitswesen(76)kodierschemata(5)enp2020(515)}.

Historischer Rückblick

Die Entwicklung von ENP begann 1989 an einer deutschen Krankenpflegeschule mit der zentralen Zielsetzung, die Pflegeprozessdokumentation zu vereinheitlichen und entsprechende Ausbildungsvorgaben zu entwickeln. Im Entwicklungsverlauf hat sich eine Gruppe von Lehrenden für Pflegeberufe aus unterschiedlichen Krankenpflegeschulen beteiligt. Zeitgleich mit der ersten Veröffentlichung der ENP-Praxisleitlinien 1994 begann auch die Umsetzung von ENP als Software in einer relationalen Datenbank.

Phase 1 (1989–1998) – induktive Entwicklung

Ausgangslage der induktiven Vorgehensweise war die Zielsetzung der Annäherung der Ausbildungsinhalte über und der tatsächlichen Ausgestaltung der Pflegeprozessplanung. Im Rahmen von Praxisanleitungen der Pflegeausbildung wurden konkrete Pflegesituationen (n = 2138) mit genutzt, um einen Pflegeplan zu erstellen. Der mit dem Auszubildenden und im Pflegeteam konsentierte Pflegeplan wurde anschließend im Team der Lehrenden reflektiert. Die gefundenen und durch Expert(inn)en konsentierten Formulierungen zur Abbildung der Pflegesituation in Form von Pflegeproblemen/-diagnosen, Pflegezielen und Pflegemaßnahmen wurden zusätzlich durch Fachliteratur untermauert und anschließend katalogisiert. Die induktive Entwicklungsphase war von vier zentralen Forschungsfragen bestimmt (Wieteck, 2004b):

  • Welche Pflegediagnosen werden in der Pflegepraxis gestellt und daher zur Abbildung des individuellen Pflegeprozesses als standardisierte Formulierung benötigt?
  • Welche Kennzeichen-, Ursachen- und Ressourcenformulierungen treten bei welcher Pflegediagnose auf und sollten als standardisierte Formulierung angeboten werden?
  • Welche Zielsetzungen im Rahmen des Pflegeprozesses werden (gemeinsam mit der betroffenen Person) vereinbart und im Pflegeplan dokumentiert?
  • Welche Pflegeinterventionen werden gewählt und mit welchen Textbausteinen können sie handlungsleitend abgebildet werden? Welche Pflegeinterventionen werden in der aktuellen Pflegeliteratur beschrieben und können als Textbausteine angeboten werden?

Aus methodischer Sicht war der Weg zur Beantwortung dieser Fragen von drei Phasen geprägt:

  • Qualitative, teilnehmende Beobachtung von konkreten Pflegesituationen, die im Rahmen von Praxisanleitungen mit einem/einer Auszubildenden und einer Lehrperson für Pflegeberufe durchgeführt wurden. Hier wurden im Rahmen des pflegediagnostischen Prozesses die Pflegediagnosen identifiziert, Pflegemaßnahmen festgelegt und in einer Pflegeplanung formuliert. Wenn möglich basierten die Beschreibungen der Pflegepläne auf bereits bekannten und beschriebenen pflegerischen Konzepten. Falls dieses nicht möglich war, wurden eigene Begriffsanalysen nach Walker/Avant durchgeführt (Opel, 2004).
  • Reflexion des Pflegeplans mit den Pflegepraktikern und anschließend im Lehrerteam im Sinne einer Konsentierung des diagnostischen Prozesses sowie der Formulierungen zur Abbildung dessen.
  • Abgleich der identifizierten Pflegediagnosen, -ziele und -maßnahmen mit Fachliteratur und Katalogisierung neu gefundener Ergebnisse (Wieteck, 2004b). Das ENP-Entwicklerteam sprach damals von einer „modifizierten praxisnahen Theorie“, anders ausgedrückt handelt es sich um einen pflegediagnosenbezogenen Behandlungspfad. Heute wird der Begriff „ENP-Praxisleitlinie“ genutzt.

Diese pflegediagnosenbezogenen Behandlungspfade (situationsspezifische oder praxisnahe Theorien) repräsentieren das aktuelle pflegerische Fachwissen, so der Anspruch der ENP-Entwickler. Die Entwicklung eines pflegediagnosebezogenen Behandlungspfades basiert wie bereits erwähnt einerseits auf induktiven Methoden und andererseits auf Literaturarbeit/-analysen (Wieteck, 2004b) sowie einer Überprüfung durch Validierungsarbeiten.

Der pflegediagnostische Prozess wie auch der Prozess der Entwicklung eines pflegediagnosenbezogenen Behandlungspfades wird bei der ENP-Entwicklung als ein Prozess der Hypothesenbildung verstanden (Gordon & Bartholomeyczik, 2001; Schrems, 2003). Die Anregungen von Dickoff, James und Wiedenbach (1968, S. 420-422) und ihre Definition der „situationsschaffenden Theorie“ („situation-producing Theorie“, „prescriptive theories“), sowie die der „praxisnahen Theorie“(Walker & Avant, 1998), die bereits zentrale Bausteine des Pflegeprozesses, wie den Zielinhalt pflegerischer Handlungen und daraus resultierende Handlungsanleitungen enthält, wurden im Verlauf des ENP-Projekts um die Dimensionen der Pflegediagnosen mit Kennzeichen, Ursachen und Ressourcen entsprechend dem Pflegeprozessmodell erweitert. Während Dickoff und James die praxisnahe Theorie an die letzte Stelle des vierstufigen Prozesses der Theoriebildung setzen, ordnen die ENP-Entwickler die modifizierte praxisnahe Theorie auf der zweiten Stufe des Prozesses ein (vgl. Abb. 6) (Dickoff et al., 1968). Dahinter steht die Ansicht, dass die pflegediagnosenbezogenen Behandlungspfade/ENP-Praxisleitlinien, die durch die Verknüpfung von Pflegediagnosen mit Kennzeichen, Ursachen und Ressourcen, Pflegezielen und Interventionen entstehen, Hypothesen sind und noch keine vorschreibende Theorie darstellen. Von zentraler Bedeutung bei dieser Annahme ist, dass es sich bei den entwickelten Hypothesen um vorläufige Erkenntnisse des Gegenstandsbereichs Pflege handelt. Die aufgestellten Hypothesen können bestätigt, widerlegt oder durch neue Erkenntnisse modifiziert werden. Dieser Prozess spiegelt sich in einem immerwährenden Aktualisierungsprozess von ENP wider.

Abbildung 6: Einordnung der "modifizierten praxisnahen Theorie“ in die Stufen der Theoriebildung (Quelle: Wieteck, 2007c in Anlehnung an Dickoff et al. 1968).

Die in ENP verwendeten Begriffe/Konzepte zeichnen sich durch eine hohe Komplexität und Granularität aus. Zur Unterstützung der Eindeutigkeit der entwickelten Sprache wurden im Laufe der Entwicklung sprachliche Strukturen und Definitionen der einzelnen ENP-Formulierungen durch das ENP-Entwicklerteam festgelegt.

Phase 2 (1998 bis heute) – Anwenderrückmeldungen und Validierungsarbeiten zur Weiterentwicklung von ENP

Seit 1994 wird ENP in einer Datenbank gepflegt und kann von Softwareherstellern in elektronischen Akten zur Pflegeprozessdokumentation eingebunden werden. Mit der ersten Anwendung von ENP in einer elektronischen Pflegeprozessdokumentation im Jahre 1996 (Deppmeyer, 1999; Wieteck, 2001) wurden und werden bis heute als wichtiger Aspekt der Weiterentwicklung von ENP die Rückmeldungen von Anwendern ausgewertet (Wieteck, 2013). Mit der Realisierung von ENP in einer Datenbank wurde sichergestellt, dass jeder Term in ENP eine Notation (d. h. eindeutige Nummerierung bzw. ID-Nummer) besitzt, die jedoch aus Gründen der Lesbarkeit und der fehlenden Relevanz für die Endanwender nicht in den aktuellen Buchpublikationen mit abgedruckt wird.

Seit 2001 werden Validierungsarbeiten zu ENP durchgeführt. Studien u. a. zur Inhalts- und/oder Kriteriumsvaliditätsprüfung sind ein weiterer wichtiger Bestandteil der Weiterentwicklung von ENP. Ein grober Überblick über bestehende Validierungsarbeiten wird im Abschnitt 1.7.3 bereitgestellt, detaillierte Informationen zum aktuellen systematischen Weiterentwicklungsprozess an sich sind im nachfolgenden Kapitel 1.7.2 nachzulesen.

Phase 3 (2005–2009) – Aufbau der Klassifikationsstruktur

In den Buchveröffentlichungen bis zum Jahr 2004 weist ENP noch keine eigenständige Taxonomiestruktur auf. Die damaligen ENP-Praxisleitlinien wurden den Aktivitäten des täglichen Lebens (ATL) zugeordnet. Die Hierarchisierungsarbeiten führten Schritt für Schritt zur heutigen Klassifikationsstruktur. Zunächst wurde eine Taxonomie7 für die ENP-Pflegediagnosen entwickelt. Erstmals wurde die klassifikatorische Struktur der ENP-Pflegediagnosen in einem Fachartikel erwähnt, hier ist auch erstmals von ENP als einem Pflegeklassifikationssystem die Rede (Wieteck, 2006a). ENP hatte 2006 sieben Klassen, heute Gruppen genannt (Pflegediagnosen, Ursachen, Kennzeichen, Ressourcen, Pflegeziele, Pflegeinterventionen und handlungsleitende Angaben). Die Gruppe der Pflegediagnosen hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine monohierarchische Struktur mit 3 Domänen, 22 Klassen und 128 Kategorien. Die restlichen Klassen/Gruppen wie Ursachen, Kennzeichen usw. hatten noch keine hierarchische Struktur, sondern die Begriffe/Konzepte wurden nebengeordnet in der Datenbank verwaltet. Die jeweiligen Konzepte/Begriffe der Klassen hatten Relationen, d. h. Verbindungen zu den relevanten Pflegediagnosen. Im Zeitraum zwischen 2007 bis 2009 wurden die einzelnen Gruppen monohierarchisch mittels Clusterbildung systematisch strukturiert und in die heutige Klassifikationsstruktur überführt.

Die Realisierung von ENP in Form einer Datenbank kann am ehesten mit Begriffen aus den Bereichen der Informatik und Wissensrepräsentation beschrieben werden: ENP kann in Bezug auf seine Datenbankpräsentation als Ontologie8 bezeichnet werden. Bei ENP wird aktuelles Pflegefachwissen durch die Verknüpfungen (Relationen) präsentiert. Die Basis bilden die Pflegediagnosen, Kennzeichen, Ursachen, Ressourcen, Pflegeziele und Pflegeinterventionskonzepte, die in einer Datenbank verwaltet werden. Diese würden für den Anwender im Sinne der Wissensrepräsentation ohne Verknüpfungen untereinander nur einen geringen Nutzen haben. Aus diesem Grund sind die aufgeführten Elemente in der Datenbank strukturiert und durch pflegefachlich begründete Verknüpfungen verbunden. Schließlich wird durch Verknüpfungen auf horizontaler Ebene aus den kleinteiligen Einzelinformationen ein pflegefachlich vollständiges Informationsbild in Form von pflegerischen Praxisleitlinien erreicht. Durch die Verknüpfungen entsteht ein semantisches Netz, das zur Entscheidungsfindung im Rahmen des Pflegeprozesses hilfreich ist. In einer elektronischen Akte werden die in ENP zur Verfügung gestellten Formulierungen genutzt, um die Pflegeprozessdokumentation umzusetzen. Zusätzlich ist ENP mit zahlreichen anderen Begriffssystemen und Klassifikationen verknüpft (vgl. Kapitel 1.6).

Phase 4 (seit ca. 2008 bis heute) – Die Übersetzung von ENP als kontinuierlicher Prozess

ENP ist als Datenbank in den Sprachen Deutsch, Englisch, Italienisch und Französisch verfügbar. Buchveröffentlichungen in englischer und französischer Sprache stehen derzeit noch aus, jedoch wird in der Promotionsarbeit von Serge Haag die Validierung von ENP in französischer Sprache beschrieben (Haag, 2009). Die italienische Übersetzung von ENP (vgl. Wieteck, Mantovan, & Rigon, 2015) hat mit einer Abschlussarbeit im Masterstudiengang für Fachübersetzung an der Universität in Bologna begonnen. Seit diesem Zeitpunkt leitet Elisabetta de Vecchis die ENP-Übersetzung ins Italienische. Die Übersetzungen von ENP unterliegen kontinuierlichen Validierungsarbeiten (vgl. z. B. Rabl, Mereu, & Kraus, 2016).

Systematische Weiterentwicklung heute

ENP ist heute eine Pflegefachsprache, die monohierarchische Strukturen aufweist und das Pflegefachwissen in Form von Praxisleitlinien zur Verfügung stellt. Anhand der nachfolgenden Abbildung 7 kann der systematische Weiterentwicklungsprozess von ENP mit seinen grundsätzlichen Schritten nachvollzogen werden, der in dieser Form seit dem Jahr 2013 etabliert ist und kontinuierlich verbessert wird. Es wird jährlich eine neue Datenbankversion von ENP zur Verfügung gestellt. Buchveröffentlichungen werden in der Regel im Zweijahresrhythmus realisiert.

Prozess der systematischen Weiterentwicklung von ENP heute

Abbildung 7: Prozess der systematischen Weiterentwicklung von ENP heute.

Beeinflusst durch gesundheitspolitische Entscheidungen, Anwenderfeedback sowie neue wissenschaftliche Erkenntnisse aus der Pflege und benachbarten Disziplinen der Gesundheitsversorgung wird jährlich entschieden, welche ENP-Praxisleitlinien einer systematischen Überprüfung und ggf. einer Überarbeitung unterzogen werden. Zur Aktualisierung und Überprüfung wird als zentraler methodischer Schritt eine systematische Literaturrecherche initiiert, welche anhand folgenden Schemas (am Beispiel der ENP-Praxisleitlinie „Der Patient leidet unter Fatigue (Erschöpfung/Müdigkeit)“) vollzogen wird:

Die nachfolgende Tabelle 11 zeigt exemplarisch einen Ausschnitt aus einer Bearbeitungstabelle zu einer ENP-Pflegediagnose des Themenbereichs Atmung, die Mitte 2016 bis 2017 aktualisiert wurde (vgl. Nißlein, 2017a; Nißlein, 2017b). Beispielhaft ist die Überarbeitung der zur Pflegediagnose gehörigen Ursachen10 zu sehen. Die Spalten repräsentieren jeweils die eindeutige ID-Nummer einer Ursache, die sprachliche Formulierung der Ursachen selbst, die Kurzverweise zu derjenigen Literatur, aus welcher die Items erarbeitet bzw. abgeleitet wurden, die bedarfsmäßig zu den Ursachen gehörigen Erklärungstexte (z. B. bei lateinischen Fachbegriffen) sowie eine Markierung in Form eines „X“, welche die Verknüpfung der Ursache zur Pflegediagnose anzeigt. Nicht in diesem Ausschnitt mit abgebildet sind die Verknüpfungsinformationen der ENP-Praxisleitlinie zu anderen Instrumenten und Konzepten (vgl. Kapitel 1.6) sowie die den ENP-Interventionen hinterlegten Zeitwerte (vgl. Kapitel 1.5). Schwarze Schrift repräsentiert im Vergleich zur ENP-Ausgangsversion unverändert übernommene Items und Elemente, rote und/oder rot durchgestrichene Schrift hingegen zeigt eine in die neue Version übernommene Änderung an. Entsprechende Revisionen können dabei sein:

  • Die Neuaufnahme von Items
  • Die sprachliche Änderung bestehender Items (beispielsweise hin zum fachsprachlichen Ausdruck)
  • Die Stilllegung der Verknüpfung von Items zu einer Pflegediagnose (beispielsweise aufgrund besserer Passung zu einer anderen ENP-Pflegediagnose)
  • Die vollständige Stilllegung von Items (beispielsweise aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse)

Tabelle 11: Ausschnitt einer Überarbeitungstabelle des ENP-Entwicklerteams am Beispiel der Praxisleitlinie „Der Patient hat aufgrund von festsitzendem Bronchialsekret das Risiko einer Atelektase/Pneumonie“.

Mit Hilfe dieser Vorgehensweise ist es möglich, die Abgrenzungen der Pflegediagnosen untereinander zu prüfen und die einzelnen Items entsprechend mit Literatur und evidenzbasiertem Wissen etwa aus Studien und systematischen Übersichtsarbeiten zu belegen – oder gemäß dem jeweils aktuellen Kenntnisstand auch zu verwerfen. Die Felder mit roter Schrift zeigen auf, welche Inhalte verglichen mit der vorherigen ENP-Version neu aufgenommen wurden, ein rotes Kreuz zeigt, dass die oben aufgeführte Diagnose mit der Ursache usw. neu verknüpft wurde.

Optionen zur Validierung von ENP-Praxisleitlinien

Im Anschluss an die systematischen Weiterentwicklungsarbeiten erfolgt wann immer möglich und insbesondere bei tiefgreifenden Änderungen eine Validierung der erarbeiteten Inhalte und Ergebnisse. Ziel hierbei ist, die seitens des ENP-Entwicklerteams konsentierten und systematisch überarbeiteten ENP-Praxisleitlinien einem weiteren Güte-Prüfprozess zu unterziehen (Creason, 2004), um auf diese Weise je nach angewandter Validierungsmethode die fachliche Korrektheit, die Vollständigkeit, ein angemessenes Niveau an Granularität und Trennschärfe der einzelnen Praxisleitlinien sowie die Praxistauglichkeit sicherzustellen.

Mit Beginn der Entwicklung von Pflegeklassifikationssystemen in den 1980er Jahren wurden verschiedene Methoden zur Validitätsprüfung entwickelt und vorgeschlagen. Nachfolgende Tabelle 12 gibt hierzu einen kurzen Überblick, ohne dabei einen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben:

Tabelle 12: Auswahl der geläufigsten Methoden zur Validierung von Pflegediagnosen / Pflegeklassifikationssystemen (Quelle: eigene Darstellung).

Die tabellarisch skizzierten Verfahren sind jedoch bedingt durch methodische Aspekte einerseits sowie die besondere Struktur von ENP (vgl. Kapitel 1), andererseits nur eingeschränkt zur Validierung der European Nursing care Pathways geeignet. In der Regel fokussieren sie lediglich das Label und/oder bestimmte Kennzeichen oder Ursachen einer Pflegediagnose und würden folglich nur einen eng begrenzten Ausschnitt von ENP bedienen, nicht jedoch die einer ENP-Praxisleitlinie zugeordneten Ursachen oder Interventionen sowie eine ENP-Praxisleitlinie in ihrer den Pflegeprozess vollständig umfassenden Gesamtheit. Zudem geben die altbekannten Modelle meist nur einen Aufschluss darüber, ob ein spezifisches Kriterium als ein verlässliches Kennzeichen für eine Pflegediagnose gelten kann, nicht jedoch, aus welchen Gründen ein Kriterium ggf. abzulehnen ist. Nicht zuletzt ist bei der Vielzahl bekannter Ansätze, so auch bei den auch heute noch häufig angewandten Validierungsverfahren nach Fehring (1987; 1994), eine große Diskrepanz zwischen der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Pflegeklassifikationssysteme auf der einen Seite sowie einem oft lang andauernden Stillstand mit Blick auf das methodische Voranschreiten der Validierungskonzepte zu beklagen, was zunehmend Fragen rund um Reliabilität und Power der Validierungsergebnisse aufwirft. Schließlich stellen viele der Verfahren aus forschungspraktischer Sicht große, teils schwer überwindbare Anforderungen an die Umsetzbarkeit und Praktikabilität (vgl. Zeitbedarf, Kosten, Verfügbarkeit von Kooperationspartner(inne)n bzw. kooperierenden Einrichtungen etc.).

Vor diesem Hintergrund fokussieren sich die Validierungsarbeiten des ENP-Entwicklerteams auf folgende methodische Stränge:

  • Die Prüfung der Gültigkeit überarbeiteter ENP-Praxisleitlinien im klinischen Kontext bzw. Setting im Vorfeld der verbindlichen Aufnahme in eine neue ENP-Version (sog. „Pretest“). Hierzu bewerten Pflegende bzw. andere klinisch tätige Personen des interdisziplinären Versorgungsteams mit einschlägiger Erfahrung im behandelten Themengebiet die Änderungen des ENP-Entwicklerteams hinsichtlich unterschiedlicher Aspekte (z. B. fachliche Korrektheit, Vollständigkeit zur akkuraten Abbildung der individuellen Situation einer zu versorgenden, pflegebedürftigen Person, Formulierung, Usability etc.) aus unmittelbarer Anwenderperspektive im direkten Einsatz im Umfeld einer Klinik bzw. Einrichtung der Altenpflege.
  • Die Durchführung einer systematischen wissenschaftlichen Untersuchung in Form einer Studie als „hochwertigste“ Form der Validierung. Denkbar sind zahlreiche Studiendesigns und Realisierungsmöglichkeiten. Diese mit hohem Ressourcenaufwand verbundene Form der Validierung kam bislang zumeist in Form von akademischen Abschlussarbeiten bzw. in Projekten mit den Entwicklern anderer Konzepte und Instrumente im Kontext von Mappingarbeiten zum Einsatz, vor dem Hintergrund der zunehmenden Verbreitung von ENP etwa in Einrichtungen (z. B. Universitätskliniken) bzw. Einrichtungsverbünden mit großer Bettenzahl oder der in manchen Ländern annähernd flächendeckenden Nutzung von ENP in bestimmten pflegerischen Settings wird die Bedeutung und Zahl an hochwertigen systematischen Studien unter Nutzung von und über das Pflegeklassifikationssystem ENP absehbar deutlich an Relevanz gewinnen.
  • Die Durchführung von Expertenratings, in deren Rahmen nach definierten Kriterien ausgewählte Fachexpert(inn)en die überarbeitete(n) ENP-Praxisleitlinie(n) hinsichtlich verschiedener Dimensionen beurteilen, bewerten und ggf. weitere Verbesserungsvorschläge einreichen. Auch hier sind verschiedene Umsetzungsformen denkbar, entweder im Rahmen von mehrstufigen Fachkonferenzen oder in Form von standardisierten Befragungen.

Letztgenannte Form, das Expertenrating mittels einer standardisierten Befragung, stellt derzeit die am häufigsten genutzte Validierungsmethode überarbeiteter ENP-Praxisleitlinien dar, weswegen in den Jahren 2014 und 2015 grundlegende Überlegungen hinsichtlich der Neuentwicklung eines standardisierten Befragungsinstruments in die Wege geleitet wurden, welches an den überarbeiteten ENP-Praxisleitlinien zum Themenbereich der Schluckstörungen erstmals pilotiert wurde. Kernanliegen waren dabei einerseits die vollständige Erfassung aller konstituierenden Einzelelemente sowie andererseits die Abfrage zusammenfassender Einschätzungen mit Bezug auf verschiedene Anforderungen, denen ENP gerecht zu werden versucht:

  • Eignung der Struktur von ENP für die pflegepraktische Arbeit
  • Sichtbarkeit eines interprofessionellen Ansatzes
  • Angemessenheit des Grades an Genauigkeit (Granularität)
  • Angemessenheit des Grades an Eindeutigkeit und Trennschärfe
  • Vollständigkeit der Elemente
  • Fachliche Korrektheit
  • Eignung von ENP zur Unterstützung der Entscheidungsfindung und der Prozessdokumentation
  • Benefit und Notwendigkeit der konsequenten Nutzung von Fachtermini im Rahmen der Weiterentwicklung und Überarbeitung von ENP (Beispiel: „Cephalgie“ statt Kopfschmerzen).

Um eine zumindest andeutungsweise Vergleichbarkeit mit gängigen Instrumenten zur inhaltlichen Validierung von Pflegediagnosen und bestehenden Studienergebnissen sicherzustellen, wurde analog dem häufig angewandten DCV-Modell von Fehring (1987; 1994) als grundlegender methodologischer Ansatz das EDV-gestützte Expertenrating gewählt. Grundidee hierbei ist, dass ausgewiesene Fachpersonen mittels eines standardisierten Fragebogens und anhand eines definierten Kategoriensystems alle Kennzeichen, Ursachen, Ziele, Interventionen sowie die thematisch relevanten ENP-Pflegediagnosen selbst bewerten. Dieser Abschnitt repräsentiert den wesentlichen Teil des Befragungsinstruments.

Nach zahlreichen Konzeptentwürfen wurde im Ergebnis ein interaktiver Fragebogen basierend auf Microsoft Excel entwickelt, der die Expert(inn)en anhand von programmeigenen Komfortfunktionen (z. B. Makros, Befehlsschaltflächen) durch die Bearbeitung führt. Im Vorfeld erhielten die Befragten auf den ersten Seiten des Instruments eine kurze Einführung zu Sinn und Zweck der Studie, zur Struktur von ENP sowie zur Bedienung des elektronischen Fragebogens. Im eigentlichen Befragungsteil wurden die Teilnehmer gebeten, die gegenwärtigen in ENP vorhandenen (Nicht-)Verknüpfungen der einzelnen Pflegediagnosen nacheinander in drei Abschnitten zu den jeweils zugehörigen Ursachen, Kennzeichen und Pflegeinterventionen zu bewerten. Bei jedem einzelnen dieser Elemente wurde eine Dropdown-Liste hinterlegt, deren Voreinstellung besagt, dass eine bestehende Verknüpfung „so wie sie ist“ fachlich und inhaltlich unverändert sinnvoll ist. Umgekehrt besteht bei nicht verknüpften Elementen die Vorauswahl, dass eine solche auch nicht zielführend wäre. Wurde aus Perspektive der Fachkundigen ein Änderungsbedarf erkannt, besteht über das Auswahlmenü die Möglichkeit, die Art desselben zu konkretisieren. Angeboten werden Alternativen zu verschiedenen Dimensionen das jeweilige Item betreffend: Vollständigkeit, Genauigkeit, fachliche Korrektheit und Relevanz. Abbildung 8 illustriert das Fragebogenkonzept in ausschnitthafter Form aus einem Expertenrating im Zuge der Weiterentwicklung der Praxisleitlinien zum Thema Dysphagie.

Abbildung 8: Beispielhafter Ausschnitt aus der Bearbeitungsmaske des Erhebungsinstruments.

Aufgrund des oftmals beträchtlichen Umfangs der seitens der Expert(inn)en zu prüfenden Aspekte wurde aus Gründen der Zumutbarkeit auf die Abfrage der den Maßnahmenkonzepten untergeordneten handlungsleitenden Detailinterventionen11 im Fragebogen verzichtet. Die hierdurch entstehende Wahrscheinlichkeit, dass die Maßnahmenkonzepte von den Teilnehmer(inne)n aufgrund mangelnder Kenntnis der Spezifikationen als zu abstrakt eingestuft werden, wurde folglich toleriert und bei der Auswertung entsprechend berücksichtigt. Auf der sich anschließenden Fragebogenseite haben die Expert(inn)en nach dem skizzierten Prinzip Gelegenheit, ihre Einschätzung hinsichtlich in vorherigen ENP-Versionen bestehender, mittlerweile jedoch stillgelegter Verknüpfungen zu prüfen und aus ihrer Sicht für die pflegerische Versorgung notwendige, jedoch aktuell in ENP noch fehlende Ursachen, Kennzeichen und Pflegeinterventionen zu ergänzen und mit den ihrer Meinung nach zugehörigen Pflegediagnosen zu verknüpfen. Den Abschluss des Fragebogens bilden je eine Seite mit den zusammenfassenden Fragen zu den weiter oben genannten Aspekten (Likert-Skala, vierstufig). Die Struktur des Erhebungsinstruments wurde zudem für Online-Befragungsprojekte unter Nutzung der Plattform SoSciSurvey (https://www.soscisurvey.de/) umgesetzt, sodass neben der lokalen Bearbeitung mit Microsoft Excel (offline) auch ein browserbasiertes Expertenrating (online) möglich wird.

Von hoher Wichtigkeit für die Durchführung der Validierungsarbeit einerseits sowie die Aussagekraft der Ergebnisse andererseits ist die Frage danach, welche Personen im Rahmen der Beurteilung von pflegerischen Diagnosen und der zugehörigen Elemente als Expertin/Experte im zu beforschenden Feld gelten kann. Die diskutierten Auffassungen hierüber sind keineswegs einheitlich, ebenso unterliegen den zahlreichen Definitionsansätzen verschiedene Kriterien zur Abgrenzung der Expertise vom Laientum. Beispiele sind etwa das professionelle Wissen oder das Erbringen von Spitzenleistungen in der jeweiligen Domäne (Bromme, Jucks, & Rambow, 2004). Eine darüberhinausgehende Sichtweise besagt, dass neben spezifischem Wissen und/oder Höchstleistungen insbesondere auch die Praxiswirksamkeit ein entscheidendes Attribut einer Expertin/eines Experten ist. Vor dem Hintergrund der Intention eines Pflegeklassifikationssystems, die Pflegepraxis wirksam in der Entscheidungsfindung und im Handeln zu unterstützen, wird letztgenanntem Punkt seitens des ENP-Entwicklerteams eine besonders hohe Relevanz zugesprochen. Folglich schließt sich das dieser Arbeit zugrunde liegende Verständnis einer Expertin/eines Experten folgender Definition aus der Wissenssoziologie an: „Experten lassen sich als Personen verstehen, die sich – ausgehend von einem spezifischen Praxis- oder Erfahrungswissen, das sich auf einen klar begrenzbaren Problemkreis bezieht – die Möglichkeit geschaffen haben, mit ihren Deutungen das konkrete Handlungsfeld sinnhaft und handlungsleitend für Andere zu strukturieren“ (Bogner, Littig, & Menz, 2014: 13). Die gewählte Begriffsbestimmung weicht somit bewusst von in der Pflege gängigen Erklärungsansätzen ab, etwa dem Pflegeexpert(inn)en-Begriff von Benner (2012) oder dem Konkretisierungsansatz von Jasper (1994), welche die Kompetenzen zur situativen Problemlösung stärker in den Blick nehmen. Grundsätzlich ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Expert(inn)enstatus im pflegewissenschaftlichen Zusammenhang immer auch vom jeweiligen Forschungsinteresse abhängig ist und die Rolle somit in Teilen von der forschenden Person verliehen wird (Meuser & Nagel, 2002).

Mit konkretem Bezug auf die Pflegediagnostik schlägt Fehring (1994) im Rahmen seiner Validierungsmodelle vor, geeignete Expert(inn)en auf Grundlage messbarer Parameter auszuwählen. Basierend auf der Punktevergabe für die Erfüllung spezifischer Kriterien werden demnach diejenigen Personen in die Validierungsarbeit aufgenommen, die eine gewisse Mindestpunktzahl erreicht haben. Entsprechende Merkmale sind dabei:

  • Ein Masterabschluss oder höher in einem unmittelbar pflegebezogenen Studiengang (größte Gewichtung).
  • Eine akademische Qualifikationsarbeit (Master in einem Pflegestudiengang oder höher) zum Thema der zu validierenden Pflegediagnose(n).
  • Ein Zeitraum von mindestens einem Jahr, seitdem im zu beforschenden Themenfeld berufliche Expertise gesammelt wird.
  • Fortbildungsnachweise mit Bezug auf die Inhalte der zu validierenden Pflegediagnose(n).
    • Publikationen und/oder veröffentlichte Forschungsergebnisse mit Bezug auf die Inhalte der zu validierenden Pflegediagnose(n).

Die Auflistung verdeutlicht, dass der Versuch einer konsequenten Anwendung der von Fehring vorgeschlagenen Einstufungskriterien im deutschen Raum (noch) in einem erheblichen Problem münden würde: einem empfindlichen Mangel an für die Teilnahme an einer Validierungsstudie geeigneten Expert(inn)en. Die Pflegewissenschaft ist in der Bundesrepublik eine vergleichsweise junge Disziplin, deren Etablierung zwar große Fortschritte gemacht hat, jedoch längst noch nicht vollendet ist. Dies gilt insbesondere mit Blick auf andere Länder wie z. B. die USA oder Großbritannien (Palm & Dichter, 2013). Auch besteht die Möglichkeit einer innerdeutschen Weiterbildung auf akademischem, sekundär qualifizierendem Niveau erst seit Ende der 1980er Jahre, wenngleich die Zahl der angebotenen Studiengänge seither rasch angewachsen ist (Schaeffer & Wingenfeld, 2014). Primär qualifizierende Studiengänge, welche die „klassische“ berufliche Ausbildung integrieren bzw. ersetzen, werden erst seit etwa zehn Jahren angeboten, oftmals noch in modellhafter Form. Bekannt ist, dass die auf die Berufsausbildung aufsetzenden Studiengänge wie Pflegemanagement, Pflegepädagogik oder Pflegewissenschaft in den meisten Fällen auf eine Position abseits des „Point of Care“ ausgerichtet sind. Jedoch wird auch von vielen Absolvent(inn)en aus den jüngeren, direkt qualifizierenden Studiengängen eine nur geringe Affinität zu einer Tätigkeit in der direkten Pflege berichtet (Bollinger, Gerlach, & Grewe, 2006). Akademische Abschlüsse, die konsequent auf eine klinische Tätigkeit direkt im Versorgungsgeschehen fokussiert sind, wie etwa Clinical Nurse Specialist, Advanced Nursing Practitioner, oder erstausbildende (duale) Pflegestudiengänge wurden in den vergangenen Jahren zwar zunehmend etabliert, jedoch finden sich derzeit noch verhältnismäßig wenige Absolvent(inn)en in der Pflegepraxis der Einrichtungen wieder. Auch ist noch ein Mangel an geeigneten Einmündungskonzepten und Strukturen für akademisch ausgebildetes Pflegepersonal in die direkte Versorgungspraxis zu beklagen (vgl. z. B. Claaßen et al., 2021; Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe e.V., 2013; Reuschenbach & Darmann-Finck, 2018). Die Gewinnung einer ausreichenden Zahl von klinisch tätigen und berufserfahrenen Pflegenden mit mindestens einem Masterabschluss als Expert(inn)en (das Hauptkriterium von Fehring) für eine pflegediagnostische Validierungsstudie hat daher im deutschsprachigen Raum und insbesondere der Bundesrepublik demzufolge leider noch wenig Aussichten auf Erfolg. Zudem wäre eine fachliche Spezialisierung dieser Personen auf das jeweilige, durch die zu prüfenden Pflegediagnosen bzw. Praxisleitlinien vorgegebene Themengebiet, hier die Schluckstörungen, erforderlich, was die Auswahlmöglichkeiten weiter einschränken würde.

Für die Expert(inn)endefinition im Rahmen von Validierungsarbeiten zu ENP wird aus den skizzierten Gründen ein Abweichen von den im internationalen Raum häufig angewandten Kriterien von Fehring erforderlich. Angezeigt ist insbesondere die Abkehr von der Prämisse, dass an der Untersuchung teilnehmende Expert(inn)en zwingend eine akademische Ausbildung in der Pflege vorweisen müssen. Deutlich wurde den bisherigen Erfahrungen zufolge auch die Notwendigkeit, selbst eine grundständige pflegerische Berufsausbildung derzeit nicht als Voraussetzung für eine Partizipation an der Studie anzusehen. Die Begründung hierfür liegt in dem Umstand, dass Pflegende zwar sehr häufig in die Betreuung von spezifischen pflegebedürftigen Personengruppen involviert sind, eine klinische Spezialisierung in die entsprechende Richtung jedoch sowohl im In- wie auch im Ausland quasi nicht existent ist. Ein Beispiel hierfür ist etwa das auch für die Profession Pflege hochrelevante Themengebiet der Dysphagien: Es konnten im Rahmen der zur Überarbeitung der ENP-Praxisleitlinien durchgeführten systematischen Literaturrecherche nur wenige Publikationen mit einem unmittelbaren Pflegebezug ausfindig gemacht werden. Ist pflegespezifische Literatur verfügbar, so stammt sie zumeist von einem oder mehreren Autoren aus angrenzenden Professionen und behandelt auf eher allgemeiner Ebene die Rolle der Pflege in der interdisziplinären Versorgung von Dysphagiepatient(inn)en (z. B. Brady, 2008; Tanner, 2010). Hochwertige Veröffentlichungen zum Thema aus der Profession selbst finden sich nur vereinzelt (Hines et al., 2011). Zusammenfassend wurden aus fachlicher wie qualitätsbezogener Überlegung heraus letztlich folgende Gesichtspunkte als Voraussetzung und ausschlaggebend für die Auswahl und Ansprache geeigneter Expert(inn)en angesehen, wobei eine überlegte Adaption dieser Kriterien je nach zu validierender ENP-Praxisleitlinie denkbar ist:

  • Eine angemessene Beherrschung der deutschen (Fach)Sprache im Kontext der Validierung eines deutschsprachigen Pflegeklassifikationssystems.
  • Eine berufliche Qualifikation mit direktem Bezug zum Thema Dysphagie, idealerweise auf akademischem Niveau (z. B. Logopädie, Linguistik, Sprachtherapie etc.).
  • Das Vorliegen von mindestens zwei Jahren Berufserfahrung in einem der Qualifikation entsprechenden, klinischen Bereich der Versorgung und Betreuung von Menschen mit Schluckstörungen.
  • Das Vorliegen mindestens einer einschlägigen und methodisch hochwertigen Publikation zum Thema (z. B. Standardwerke, Grundlagenliteratur, systematisches Review).
  • Die aktive Mitgliedschaft in einem dysphagiebezogenen (Berufs-) Verband, einer Kommission oder alternativ die aktive Übernahme von Lehr- und/oder Dozententätigkeit zum Thema.

Die Datenauswertung erfolgt unter Zuhilfenahme von Softwarepaketen wie Microsoft Office und/oder Statistikprogrammen (z. B. SPSS, Statistical Package for the Social Sciences). Die Angaben aus den elektronisch ausgefüllten Fragebögen wurden hierzu in entsprechende Auswertungsmasken überführt. Um Übertragungsfehler so gut als möglich auszuschließen, wurden alle Daten nach der Eingabe erneut auf Ihre Korrektheit hin geprüft. Zur Auswertung der Daten wurden im Wesentlichen deskriptive Verfahren angewandt, hierunter Häufigkeitsberechnungen (absolut und relativ), Lagekenngrößen (z. B. der arithmetische Mittelwert), Streuungskenngrößen (z. B. Spannweite) sowie grafische Darstellungen. Von zentraler Bedeutung ist zudem die Quantifizierung sämtlicher seitens der Expert(inn)en vorgenommener Beurteilungen hinsichtlich der (Nicht-) Verknüpfung jedes Kennzeichens, jeder Ursache und jeder Intervention zu jeder der zehn ENP-Pflegediagnosen. Auf dieser Grundlage lässt sich anhand eines vorab definierten Grenzwertes (Cut-off-Wert) bestimmen, welche Einzelelemente und (Nicht-) Verknüpfungen…

  • … einer detaillierteren fachlich-inhaltlichen Prüfung unterzogen werden sollten.
  • … hinsichtlich ihrer Eindeutigkeit und Granularität kontrolliert werden müssen.
  • … aufgelöst, ergänzt oder neu hinzugefügt werden müssen.

Über die Suche nach einem geeigneten Anstoß-Grenzwert zur fachlich-inhaltlichen Revision hinaus gilt es, bei der Datenauswertung auffällige Inkongruenzen in den Einschätzungen der Expert(inn)en in den Blick zu nehmen und eine Vorstellung hinsichtlich Ausmaß und Zuverlässigkeit der Übereinstimmung der Beurteilungen zu bekommen. Hierzu werden je nach zugrundeliegendem Datenmaterial verschiedene Modelle zur Berechnung der Interrater-Reliabilität und Interrater-Übereinstimmung angewandt.

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5 Im Kontext der Informatik werden sog. „Object Identifier“ (OID) als weltweit eindeutige und dauerhafte Bezeichner für ein bestimmtes Informationsobjekt verwendet.

6 Vgl. https://www.dimdi.de/dynamic/de/klassifikationen/weitere-klassifikationen-und-standards/oid/oid-suche/ (Zugriff am 06.07.2021).

7 Der Begriff Taxonomie (oder auch Klassifikationsschema) beschreibt ein einheitliches Modell bzw. theoretisches Konstrukt, anhand dessen Einzelelemente/-objekte nach bestimmten Kriterien klassifiziert und somit in Kategorien eingeteilt werden.

8 Ontologien sind Beschreibungen von Konzeptualisierungen einer Wissensdomäne, im Falle von ENP das Pflegefachwissen zur Repräsentation und Steuerung des Pflegeprozesses. Eine Ontologie ist ein kontrolliertes Vokabular, das Gegenstände/Phänomene und deren Beziehungen zueinander in einer formalen Weise beschreibt und etwas über eine spezielle Domäne aussagt. Häufig wird für Ontologie auch der Begriff „semantisches Netz“ verwendet.

9 Ein Beispiel für eine vollständige Suchphrase lautet etwa: (fatigue[Title/Abstract] OR tiredness[Title/Abstract] OR weariness[Title/Abstract] OR exhaustion[Title/Abstract]) AND (palliati*[Title/Abstract] OR “end of life”[Title/Abstract]) AND (nurs*[Title/Abstract] OR care[Title/Abstract] OR caring[Title/Abstract]) AND ((diagnosis OR diagnoses) OR (symptom* OR sign OR signs OR syndrome* OR characteristic* OR indicator* OR mark OR marks OR feature*) OR (cause* OR source* OR reason* OR etiolog*))

10 Eine entsprechende Dokumentation wird für jede ENP-Praxisleitlinie selbstverständlich auch hinsichtlich Kennzeichen, Ressourcen, Pflegeziele und Interventionen gepflegt.

11 Vgl. Kapitel 1.4.6.

ENP Wissenschaftliche Hintergründe

Buch ENP-Praxisleitlinien

Pia Wieteck
ENP-Praxisleitlinien
(3. Aufl.)

Planen und Dokumentieren auf Basis von Pflegediagnosen der Klassifikation ENP (inkl. kostenfreiem Download der Lernsoftware)

Buch Praxisleitlinien Altenpflege (5. Aufl.)

Pia Wieteck
Praxisleitlinien Altenpflege (5. Aufl.)

Planen, Formulieren, Dokumentieren mit ENP-Pflegediagnosen

Buch Praxisleitlinien Pflege

Pia Wieteck
Pflegediagnosen für die Altenpflege

Handlich, praktisch und übersichtlich – die neue Reihe der ENP-Pflegediagnosenbücher.

Buch Kriteriumsvalidität von ENP®

Simon Berger
Kriteriumsvalidität von ENP

Abbildung von individuell formulierten Pflegeprozessplanungen mit der standardisierten Pflegefachsprache ENP®

Buch Pneumonieprophylaxe bei Krankenhauspatienten

Horst Konrad
Pneumonieprophylaxe bei Krankenhauspatienten

Analyse von Daten der Pflegeklassifikation ENP® in elektronischen Patientenakten

Buch Validierung von Pflegediagnosen der Pflegeklassifikation ENP®

Pia Wieteck
Validierung von Pflegediagnosen der Pflegeklassifikation ENP

Crossmappings von ENP® mit ICNP® und NANDA