ENP-Pflegediagnosen generell stellen eine systematische klinische Beurteilung der Reaktionen einer zu pflegenden Person auf aktuelle und/oder potenzielle Gesundheitsprobleme und/oder Lebensprozesse dar. Pflegediagnosen sind somit Bestandteil des Pflegeprozesses und bilden die Grundlage für die Auswahl pflegerischer Maßnahmen, anhand derer die gemeinsam mit der zu pflegenden Person erarbeiteten pflegerischen Ziele erreicht werden. Eine ENP-Pflegediagnose im Speziellen ist ein sprachlicher Ausdruck, den Pflegende, wenn möglich, gemeinsam mit der/dem Betroffenen und/oder ihren/seinen Angehörigen/Bezugspersonen basierend auf einer systematischen Einschätzung/Beurteilung (Assessment, Pflegeanamnese, körperliche Untersuchung) des Gesundheitszustands und dessen psychischen, physiologischen und entwicklungsbedingten Auswirkungen oder der Reaktion auf Gesundheitsprobleme nutzen, um auf dieser Grundlage die Entscheidungen über Pflegeziele zu treffen und geeignete Pflegeinterventionen auszuwählen.
Eine ENP-Pflegediagnose beschreibt mögliche pflegediagnostische Ergebnisse in einer standardisierten Form. Die Bestandteile einer ENP-Pflegediagnose sind ein pflegerisches Problem und eine Spezifikation. Ein kleiner Anteil, mit Stand vom Juli 2021 ca. 16 % (n=93), der ENP-Pflegediagnosen beinhaltet keine Spezifikation und dient als „Restkategorie“, wenn keine der angebotenen präkombinierten Pflegeprobleme mit Spezifikation zutreffen. Im Rahmen des diagnostischen Prozesses ergänzt die Pflegeperson in diesem Fall selbst die Kennzeichen und Ursachen und überführt das pflegerische Problem in eine Pflegediagnose. Eine Präkombination von Spezifikation und Pflegeproblem wurde in ENP immer dann vorgenommen, wenn es spezifische Interventionskonzepte für die ENP-Pflegediagnose gibt. Ein Pflegeproblem innerhalb ENP ist wie folgt definiert:
Pflegeprobleme sind aktuelle Beeinträchtigungen des betroffenen Individuums, die in seiner Person oder seiner Umwelt begründet sind. Oder es handelt sich um Risiken, die mit dem Gesundheitszustand oder der Behandlung der betroffenen Person im Zusammenhang stehen, die sie selbst nicht bewältigen oder beheben kann und die ihre Unabhängigkeit und/oder die anderer Menschen einschränkt. Psychische, umweltbedinge und entwicklungsbedingte Zustände oder Veränderungen des physiologischen Gesundheitszustandes sowie altersbedingte Einschränkungen können Ausgangspunkt von Pflegeproblemen sein. Professionelles Handeln ist erforderlich, um die Pflegeprobleme zu erfassen, diese in eine Pflegediagnose zu überführen und den Gesundheitszustand durch geplante Pflege positiv zu beeinflussen.
Gordon und Bartholomeyczik schreiben, dass eine Pflegediagnose aus drei essenziellen Elementen besteht, „[…] die auch als PÄS-Schema bezeichnet werden. Diese drei Komponenten sind: Gesundheitliches Problem (P), ätiologische bzw. damit verbundene Faktoren (Ä) [und] definierende Merkmale oder Cluster von Zeichen und Symptomen (S)“ (Gordon & Bartholomeyczik, 2001, S. 38f). Die Gruppe der Pflegeprobleme beschreibt auf der Ebene der Kategorie inhaltlich Pflegeprobleme, welche die disjunkten Merkmalsträger darstellen, denen die Pflegediagnosenbegriffe zugeordnet sind. Aufgrund der Zusammensetzung einer ENP-Pflegediagnose aus einem Pflegeproblem und einer Spezifikation beinhaltet diese bereits mindestens zwei essenzielle Elemente einer Pflegediagnose, wie von Gordon & Bartholomeyczik vorgeschlagen. Im Rahmen des diagnostischen Prozesses wählt die Pflegeperson passende Kennzeichen und Ursachen aus ENP aus. Die Kennzeichen beziehen sich in ENP nicht ausschließlich auf das Pflegeproblem, sondern auf die Kombination des Pflegeproblems und der Spezifikation.
In nachfolgender Tabelle werden exemplarisch die ENP-Pflegediagnosen der Klasse Körperpflege/Kleiden und der Kategorie Selbstfürsorgedefizit Körperwaschung aus der Domäne Pflegediagnosen aus dem funktionalen/physiologischen Bereich vorgestellt, um den Unterschied zwischen Pflegeproblem (=Kategorie) und Pflegediagnose in ENP zu verdeutlichen.
Tabelle 4: ENP Pflegediagnosen aus der Kategorie Körperpflege/Kleiden (Ausschnitt) zur Illustration des Unterschieds zwischen Pflegeproblem und ENP-Pflegediagnose.
Die hier vorgestellte Operationalisierung des Selbstfürsorgedefizits Körperwaschung ist durch die Entwicklung der Praxisleitlinie bestimmt. Wird während der Entwicklung einer pflegediagnosenbezogenen Praxisleitlinie deutlich, dass es z. B. bei dem Selbstfürsorgedefizit Körperwaschung bei Hemiplegie ganz spezielle Interventionskonzepte gibt, würde die ENP-Pflegediagnose präkombiniert weiterentwickelt werden. In einer Literaturanalyse, die im Rahmen der ENP-Entwicklung zu den Pflegediagnosen der Kategorie Selbstfürsorgedefizit Körperwaschung erstellt wurde, wird gezeigt, dass für die in Tabelle 29 aufgeführten ENP-Pflegediagnosen spezielle Handlungskonzepte existieren (Helmbold & Berger, 2010).
Damit die Nutzer(innen) der ENP-Fachsprache zur Abbildung des Pflegeprozesses differenzierte und zielgerichtete Interventionskonzepte angeboten bekommt, wurde die beschriebene Struktur der ENP-Pflegediagnosen gewählt.
Die Festlegung der Syntax der verschiedenen Sprachbausteine in ENP dient der Vereinheitlichung der Struktur der Fachsprache. Ein Beispiel:
„Der Patient hat aufgrund eines angelegten Tracheostomas das Risiko einer Hautschädigung“.
"Der Patient" = Subjekt (Nominativ)
"hat" = Vollverb / Prädikat
"aufgrund eines angelegten Tracheostomas" = Präpositionalobjekt (Genitiv)
"das Risiko" = direktes Objekt (Akkusativ)
"einer Hautschädigung" = Artergänzung (Genitiv)
Bei den Pflegediagnosen in ENP, die über keine Spezifikation verfügen, setzt sich die Syntax wie folgt zusammen:
„Der Patient hat ein Dekubitusrisiko“
"Der Patient" = Subjekt (Nominativ)
"hat" = Vollverb / Prädikat
"ein Dekubitusrisiko" = direktes Objekt (Akkusativ)
Bei den Pflegediagnosen in ENP, die über keine Spezifikation verfügen, setzt sich die Syntax wie folgt zusammen:
„Der Patient-- hat ein Dekubitusrisiko"
"Der Patient" = Subjekt (Nominativ)
"hat" = Vollverb / Prädikat
"ein Dekubitusrisiko" = direktes Objekt (Akkusativ)
Die Satzkonstruktion einer Pflegediagnose ist in der dritten Person Singular formuliert, die genutzten Verben stehen im Präsens. Der Hintergrund, die Satzkonstruktion so zu gestalten, wie sie oben beschrieben wurde, hat pragmatische und sprachstilistische Gründe. Es wäre durchaus möglich, das Präpositionalobjekt an das Satzende zu stellen. Die ENP-Pflegediagnose könnte z. B. auch lauten, der Patient kann die Körperwaschung nicht selbständig durchführen, aufgrund einer Hemiplegie. So würde dem Pflegeproblem als Bestandteil der ENP-Pflegediagnose eine höhere Aufmerksamkeit zukommen, allerdings würde damit die Unterscheidung der insgesamt 14 Pflegediagnosen zum Pflegeproblem „Selbstfürsorgedefizit Körperwaschung“ an das Satzende gestellt werden. Die Mitarbeiter müssten in einer Softwarelösung deutlich mehr lesen, um zu den Unterscheidungskriterien der ENP-Pflegediagnose innerhalb der Subkategorie zu gelangen.
Jeder ENP-Pflegediagnose ist eine systematisch erarbeitete Definition zugeordnet, um den jeweiligen Bedeutungsumfang deutlich und mit möglichst großer Eindeutigkeit herauszustellen. Für die Erarbeitung der Definitionen für die ENP-Pflegediagnosen wurden aus Gründen einer angemessenen Qualität, Konsistenz, Stringenz und Einheitlichkeit verbindliche Kriterien entwickelt. Wesentliches Kriterium einer Definition ist die Bestimmung und Erläuterung des Wesens einer Sache, eines (Pflege-) Phänomens bzw. eines Begriffs. Von zentraler Bedeutung war es daher, die wesentlichen Konzeptbegriffe einer Pflegediagnose in der Definition nicht zu wiederholen, sondern akkurat zu umschreiben. Hierzu gehörte auch, einen Konzeptbegriff wo möglich nicht ausschließlich durch ein Synonym ohne weitere Erklärung zu ersetzen. Ein Beispiel zur Verdeutlichung:
Bei Definitionsarbeiten zu Pflegediagnosen einer Kategorie (z. B. „Risiko der Atelektasenbildung/ Pneumonie“) wurde, falls zutreffend, mit der spezifikationslosen Pflegediagnose begonnen und diese Definition als Ausgangsbasis für spezifische Pflegediagnosen zum gleichen Thema heranzuziehen. Die Begründung ist hierin zu sehen, dass bei spezifikationslosen Pflegediagnosen in der Regel lediglich der Konzeptbegriff zum Pflegephänomen/-problem definiert werden musste, der sich jedoch bei den meisten anderen Pflegediagnosen zusätzlich zu deren Spezifikation wiederfindet. Auf dieser Grundlage wurde sichergestellt, dass die Definition des wiederkehrenden Pflegeproblems/Pflegephänomens innerhalb einer Kategorie einheitlich und konstant ist. Die Erarbeitung von Definitionen erfolgte grundsätzlich literaturbasiert, idealerweise auf Grundlage von Konzeptanalysen zum jeweiligen Themengebiet. Den Anspruch an die Entwicklung und Weiterentwicklung von ENP berücksichtigend („Evidence-based“), sollten die Definitionen hier nicht zurückstehen. Die zur Erstellung der Definition verwendete Literatur ist jeweils im zur ENP-Praxisleitlinie zugehörigen Literaturverzeichnis ausgewiesen.