Aufgeschnappt, nachgefragt: Quo vadis Pflege?

Nicht zuletzt durch den neuen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ist die Pflege wieder mehr in den Fokus der öffentlichen Diskussion gerückt. Meinungsäußerungen aus der Pflege und von extern erreichen uns wöchentlich über die unterschiedlichsten Medienkanäle. Wir haben bei Peter Bechtel (Vorsitzender des Bundesverbands Pflegemanagement) und Andrea Albrecht (Pflegedirektorin, Lukaskrankenhaus Neuss und 1. Vorsitzende der Fachgesellschaft Profession Pflege) nachgefragt. 

1.) Welche Chancen & Risiken sehen Sie im Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz?

 

 Peter Bechtel (BV): Die Politik befindet sich in einer schwierigen Situation. Nichtstun geht nicht mehr, das findet in der Profession Pflege lange keine Akzeptanz mehr und würde mittelfristig in die Katastrophe führen im Sinne einer eklatanten pflegerischen Unterversorgung der Bevölkerung. Startet die Politik Aktivitäten, Initiativen, gar Gesetzesvorlagen, hagelt es Kritik aus unterschiedlichen Bereichen, dass alles unzureichend ist, dass die zur Verfügung gestellten finanziellen Ressourcen nicht ausreichen, dass Geld allein noch keine Pflegekräfte bringt etc.

Das Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz ist ein „Mosaikstein“ neben vielen, die noch folgen müssen, um das Problem des Fachkräftemangels anzugehen. Wir müssen das Gesetz im Detail analysieren, um Chancen zu erkennen, aber auch Risiken klar und eindeutig zu erkennen. Die zusätzlichen finanziellen Ressourcen sind sicherlich eine Chance, zusätzliches Pflegepersonal zu gewinnen, die Personaluntergrenzen stellen eindeutig das Risiko dar, dass Minimum gleich Maximum ist und evtl. dazu beiträgt, dass in Kliniken Personal abgebaut werden muss, die heute bereits schon eine gute bis sehr gute Personalausstattung haben.

 Andrea Albrecht (ProPflege):

Das krankenhausindividuelle Pflegebudget (bei Herauslösung aus dem DRG-Katalog) hebt den Grundsatz „gleiches Geld für gleiche Leistung“ auf. Es wird zu einer deutlichen Verschiebung der krankenhausindividuellen Budgets kommen: Kliniken, die bisher die Erlöse aus dem DRG-Katalog in den Pflegebereichen eingesetzt haben und einen vergleichsweise hohen Personalstand haben, werden von dieser Umstellung profitieren. Es werden diejenigen Kliniken verlieren, die bisher weniger Geld für Pflege ausgegeben haben. Es lohnt sich also, in Stellen zu finanzieren! Es ist keine Obergrenze festgelegt, so dass die Möglichkeit besteht, sinnvoll in die Profession Pflege zu investieren. Sollten die Zusatzentgelte für hochaufwendige Pflege aus dem DRG-Budget und dem Pflegebudget gestrichen werden, verlieren wir eine sehr transparente und fachlich-professionelle Möglichkeit, hochaufwendige Pflege darzustellen. Ich sehe den vielzitierten Dokumentationsaufwand nicht, da wir die PKMS-Dokumentation dazu genutzt haben, unsere bisherige Dokumentation zu verbessern und zu verschlanken. Hier ist das Können und Wissen der Verantwortlichen gefragt.

 Die Pflegepersonaluntergrenzen sind leider nicht unter Berücksichtigung von validen Daten und Qualitätskriterien festgelegt worden. Aus diesem Grund gibt es keinen inhaltlichen Bezug zu der aktuellen Pflegequalität in den Fachbereichen. Es ist lediglich eine Zahl! Und die wird dazu führen, dass erfinderische Manager tricksen, Papier ist geduldig! Leider wird es auch dazu führen, dass in Kliniken, die eine bessere Ausstattung haben, diese Personalobergrenze zur Untergrenze bestimmt wird. Mit einer definierten Pflegequalität wäre dieser Schritt deutlich erschwert worden.

2.) Wann werden die Neuerungen bei den Pflegepersonen auf Station ankommen? Wird dann alles schlagartig besser?

 

Albrecht: In den Kliniken, die bereits heute ein eine aktive Personalentwicklung und fachlich hochwertige Pflege umsetzen, wird es eher schlechter als besser. Kliniken, die bisher sehr restriktiv agiert haben, werden den Vorsprung der anderen nicht so ohne weiteres aufholen können. Pflegekräfte stehen nicht mehr an jeder Ecke, wie man aus dem Streik der Unikliniken in Essen und Düsseldorf lernen kann.

Bechtel: Nein, es wird nicht schlagartig alles besser, wo sollen denn die zusätzlich finanzierten Fachkräfte plötzlich alle herkommen? Wir befinden uns in der Mangelverwaltung, der Markt gibt kaum etwas her. Daraus entsteht ein reiner Verdrängungswettbewerb in dem Kontext, dass ich einem Kollegen eine Pflegefachkraft „wegnehme“, wenn ich jemand einstelle! Die Anwerbung ausländischer Mitarbeiter wird das Problem auch nicht lösen, dass sollten wir aus den Erfahrungen aus den 1970er und 1990ger Jahren gelernt haben. Die Kolleginnen und Kollegen vor Ort in der direkten Patientenversorgung am Bett werden erst dann im positiven Sinne etwas davon spüren, wenn durch mehr Fachkräfte die Arbeitsbelastung sinkt. Das ist aber eine Wegstrecke, die wir gemeinsam gehen müssen, es gibt einfach keine Patentlösung, die von heute auf morgen Wirkung entfalten kann!

3.) Im Vergleich zum Referentenentwurf sind in der Kabinettsvorlage einige Regelungen konkretisiert beziehungsweise ergänzt worden. Neu ist, dass das Bundesgesundheitsministerium künftig konkrete Vorgaben zum Pflegepersonal machen und Verstöße sanktionieren kann. Halten Sie dies für umsetzbar?

 

Bechtel: Was nun die Verhandlungspartner der GKV (Anm. d. Red. Gesetzliche Krankenversicherung) und DKG (Anm. d. Red. Deutsche Krankenhausgesellschaft) binnen eines Jahres nicht auf die Reihe gebracht haben, regelt nun der Gesetzgeber. Grundsätzlich sind die Vorgaben zu begrüßen, da über diese Regelungen eine ständige Überlastung des zur Verfügung stehenden Personals verhindert werden soll. In der jetzigen Gesetzesauslegung laufen wir große Gefahr, dass es in dem genannten Sinne keine Wirkung entfalten kann, im Gegenteil. Die angedachten Grenzen sind eher kontraproduktiv und führen zu einer weiteren Zunahme der Belastung des einzelnen Mitarbeiters vor Ort am Patientenbett. Wir treiben einen zusätzlichen nicht unerheblichen Bürokratieaufwand im Sinne des Nachweises von Stationsbesetzungen ohne nennenswerte Ergebnisse. Die angedrohten Sanktionen sind aus meiner Einschätzung bei dem herrschenden Fachkräftemangel eher ein „zahnloser Tiger“. Aktuell müssen und können wir davon ausgehen, dass es nicht darum geht, dass die Kliniken nicht einstellen wollen, vielmehr ist der Markt einfach leer!

Albrecht: Arbeitgeber werden durch diese Auflagen gezwungen, attraktiver zu werden, um den Wettbewerb um die einzelne Fachkraft zu bestehen. Pflegekräfte sollten zunehmend das Bewusstsein entwickeln, dass sie sich ihren Arbeitgeber zukünftig aussuchen können und Leistungen wie die Personalausstattung miteinander vergleichen. Die Vorgaben sind die absolute Untergrenze. Es ist gut, dass Pflegedirektoren, die eine Betreuung von mehr als 30 Patienten durch eine Fachkraft allein für angemessen halten, zu einem Umdenken gezwungen werden. Ich fürchte, dass es jedoch genug Möglichkeiten geben wird, um Sanktionen zu umgehen.

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