4. Kritische Anmerkungen

Analog zu allen anderen Pflegeklassifikationssystemen ist ENP derzeit noch nicht in dem Maße vollständig, um alle pflegerischen Belange, die zur Beschreibung von pflegerischen Phänomenen und Maßnahmen benötigt werden, im Rahmen der Prozessdokumentation anzubieten. Dieses zeigen unterschiedliche Studien und Evaluationsprojekte. Circa 23 % der NANDA-I-Pflegediagnosen konnten den Ergebnissen einer Studie aus dem Jahr 2008 zufolge nicht über ENP abgebildet werden (Wieteck, 2008c). Zudem mussten zu dieser Zeit ca. 18 % der Formulierungen in den Pflegeplänen individuell ergänzt werden. Diese Aussage bezieht sich auf den kompletten Pflegeprozess (Pflegediagnosen, Pflegeziele, Pflegemaßnahmen) (Berger, 2008, 2010; Schmitt, 2010; Wieteck, 2004b). Wenngleich sich die in den damaligen Untersuchungen entdeckten Lücken zwischenzeitlich an vielen Stellen geschlossen haben, so wird es u. a. vor dem Hintergrund des rasanten Wissenszuwachses bei gleichzeitig rascher Alterung bestehenden Wissens in der Pflege trotz größter Mühe auch weiterhin kaum erreichbar sein, eine alle Settings und Fachbereiche der Pflege umfassende Fachsprache wie ENP aus fachlich Sicht zu einem Reifegrad absoluter Vollständigkeit weiterzuentwickeln.  

 

In einem breit angelegten Praxistest von St. Gallen kommen Kossaibati und Berthou (2006) zu dem Ergebnis, dass spürbar ist, dass die Fachsprache aus Deutschland kommt und eine Helvetisierung für die Förderung der Akzeptanz zu empfehlen ist. Die Ergebnisse bestätigen, wie auch andere Studien, dass ENP noch nicht vollständig in allen Spezialbereichen der Pflege etabliert ist. In Teilbereichen wurden Elemente der Pfade als uneinheitlich und noch nicht auf dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse empfunden. Daher wurden folgende Aspekte zur Anpassung und Behebung der im Projekt erlebten Einschränkungen der Spitäler und Kliniken des Kanton St. Gallen formuliert:

  • Helvetisierung (sprachlich und konzeptuell): unter anderem die Abbildung des schweizerischen Pflegekompetenzbereiches und Pflegeverständnisses und der Ersatz nicht-schweizerischer Termini durch ein schweizerisches Äquivalent,
  • Aktualisierung der ENP-Inhalte (insbesondere Berücksichtigung internationaler, auch fremdsprachiger Fachliteratur, sowie Forschung aus der Pflege),
  • Vereinheitlichung des Detaillierungsniveaus,
  • Vervollständigung der ENP-Inhalte: in den Bereichen onkologische Pflege, transkulturelle Pflege, im Suchtbereich, psychosoziale Aspekte etc.

 

Die Validität der ENP-Praxisleitlinien ist in der Tiefe auf hohem, wissenschaftlichem Niveau noch nicht getestet. Es gibt Hinweise darauf, dass einzelne ENP-Pflegediagnosen noch nicht vollständig sind und verbessert werden könnten (Hardenacke, 2007).

Zusammenfassende Gedanken

Da sich das pflegerische Wissen ständig und mit raschem Voranschreiten erweitert und wandelt, ist der Validierungsprozess von ENP auch ein kontinuierliches Erfordernis im Rahmen der Weiterentwicklung des Systems. Dennoch erscheint es nicht falsch, von einer hohen Reife des Systems zu sprechen. Anzeichen hierfür sind sowohl die Anwendung in mittlerweile allen Sektoren der Pflege zur Abbildung des Pflegeprozesses als auch die positiven Rückmeldungen der Nutzer. Ebenso spricht für die Güte von ENP, dass zwischen den bestehenden Systemen NANDA-I und ICNP hohe inhaltliche Übereinstimmung besteht und die Ausdruckskraft und Eindeutigkeit von ENP-Pflegediagnosen zu ca. 84 % gleich gut/höher im Vergleich zu den NANDA-I-Pflegediagnosen durch die Expert(inn)en bewertet wurden (Wieteck 2008).

 

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