1. Struktur und Aufbau von ENP

1.5 Zeitwerte in ENP

Zusätzlich zu den anderen Elementen sind in ENP Zeitwerte an eine Vielzahl von Pflegeinterventionen bzw. Interventionsspezifikationen gebunden (bewusst jedoch nicht allen) und werden fallbezogen summiert. Zur situationsgerechten Abbildung der summierten Zeitwerte werden verschiedene Faktoren wie beispielsweise Schweregrade, Ort der Leistungserbringung usw. mitberücksichtigt. Die Zeitwerte sind Schätzwerte, die in einem über Jahre währenden empirischen Prozess mit Pflegenden ausgehandelt wurden. Die Zeitwerte sind darüber hinaus durch den Kontextbezug zur Pflegediagnose gewichtet. So sind bei einer pflegebedürftigen Person mit Demenz im Rahmen der Ganzkörperwaschung andere Zeitwerte hinterlegt als bei einer Ganzkörperwaschung z. B. bei einer Person, der aufgrund körperlicher Schwäche die Körperpflege nicht selbstständig durchführen kann. Der Prozess der Zeitwerthinterlegung hat im Jahr 1996 begonnen und wurde mit der ersten Softwareanwendung im Feld kontinuierlich in Fokusgruppen mit Pflegenden justiert. Durch eigene Zeitwertmessungen im Rahmen von Forschungsarbeiten wurden ebenfalls weitere Justierungen der Zeitwerte vorgenommen, zudem werden sofern möglich aufwandsbezogene Angaben aus der wissenschaftlichen Fachliteratur bei der Erstellung der Zeitwerte berücksichtigt. Bei der Verknüpfung mit den LEP-Nursing-3- und ENP-Interventionen im Jahr 2004 fiel auf, dass die hinterlegten Zeitwerte zu einem hohen Anteil korrespondieren.

Die Zeitwerte können in ENP auf verschiedenen Ebenen hinterlegt sein. Zum einen auf Ebene des Interventionskonzeptes selbst, sodass ein Zeitwert unabhängig von den gewählten Interventionsspezifika generell für die ENP-Pflegeintervention gilt. Ein Beispiel hierfür ist etwa die Intervention „Spezielle Mundpflege durchführen“. Unabhängig davon, mit welchen Pflegeprodukten, Hilfsmitteln oder Wischtechniken die spezielle Mundpflege durchgeführt wird, es wird jeweils ein pflegerischer Zeitaufwand von 5 Minuten kalkuliert. Die Zeitwerte können jedoch auf Ebene der Interventionsspezifika angesiedelt sein, sodass sich je nach konkreter Ausgestaltung der Pflegeintervention bzw. je nach gewählten Interventionsspezifika ein kumulierter, der jeweils gegebenen individuellen Pflegesituation entsprechender Zeitwert ergibt. Ein Beispiel hierfür ist die Pflegeintervention „Ganzkörperwaschung durchführen“. Hier ergibt sich der aggregierte Zeitwert durch die jeweilige Auswahl an Interventionsspezifika, genauer: der Ort der Ganzkörperwaschung, dem notwendigen Unterstützungsgrad, Besonderheiten bei der Körperwaschung sowie die Anzahl an zur Durchführung der Ganzkörperwaschung benötigten Pflegepersonen (vgl. Abbildung 5).

Abbildung 5: Beispiel für die kumulative Berechnung von ENP-Zeitwerten (Ausschnitt).

Würde etwa eine Pflegeperson (× 1) eine Ganzkörperwaschung am Waschbecken (18 Minuten) durchführen, dabei aktivierende/anleitende Elemente integrieren (+5 Minuten) und eine aufseiten der zu pflegenden Person bestehende Ritualisierung einhalten (+1 Minute), ergäbe sich ein summierter Zeitwert von 24 Minuten. Müssten sich aus bestimmten Gründen zwei Pflegepersonen an der Ganzköperwaschung beteiligen (× 2), ergäbe sich ein Zeitwert von 48 Minuten.

Schließlich bestehen in ENP einige Interventionen, denen bewusst und gezielt kein Zeitwert hinterlegt wurde. Der wesentliche Grund hierfür ist, dass sich mancherlei pflegerische Intervention kaum oder gar nicht „normieren“ lässt. Beispiele für entsprechende Bereiche sind etwa vielerlei Tätigkeiten im Kontext von Beratung, Anleitung und Patientenedukation, die sich je nach konkreten Inhalten, Compliance und Kompetenzen der individuellen betroffenen Person hinsichtlich des pflegerischen Aufwandes sehr unterschiedlich ausgestalten können. In derartigen Situationen scheint es zur Erfassung von validen und reliablen Zeitaufwänden zielführender, die Anwender(innen) von ENP zur Eingabe eines manuellen Zeitwertes aufzufordern, etwa mittels softwaregesteuerter Aufforderung.

Vorteile von im Rahmen der (digitalen) Regeldokumentation mit ENP verbuchten Zeitwerte

In erster Linie ermöglichen aus der tagtäglichen Regeldokumentation heraus und ohne jeglichen weiteren Erhebungsaufwand heraus nutzbare Zeitwerte die Erfassung des tatsächlich erbrachten pflegerischen Aufwandes in einer Einrichtung / auf einer Station / in einer Schicht / für eine bestimmte Gruppe zu pflegender Personen. Hiermit schaffen die Zeitwerte eine zwingend benötigte Basis, um verschiedenste Analysen, Auswertungen und Berechnung durchführen zu können – und auch um gegenüber verschiedenen Interessensgruppen argumentieren zu können. Denn nur wenn bekannt ist, wieviel Zeitaufwand etwa die Versorgung einer bestimmten Patientengruppe tatsächlich erfordert, lässt sich beispielsweise über Personalbedarf diskutieren.

Den Möglichkeiten an denkbaren Analysen basierend auf der erbrachten Pflegezeit, den erbrachten Leistungen usw. sind dabei prinzipiell nur wenig Grenzen gesetzt. Ein Beispiel wären etwa fallbezogene Auswertungen:

Tabelle 9: Beispiel für eine fallbezogene Zeitwertauswertung mit ENP.

Eine andere Möglichkeit wäre etwa, die veranschlagte Pflegezeit mit der tatsächlichen Pflegezeit sowie den damit verbundenen Kosten in Verbindung zu bringen. Die Liste an Argumenten, Beispielen und Verwendungsszenarios ist um vielfache Facetten erweiterbar, die hier angeführten Auswertungen sind exemplarischer Natur. Naturgemäß Fakt ist zeitgleich, dass Zeitwerte immer nur eine Annäherung an die Realität sein können. Durch die Besonderheit in ENP, dass sich bei einer Vielzahl an Interventionen die verbuchten Zeitwerte individuell durch die jeweiligen Interventionsspezifikationen berechnen und somit eine Ganzkörperwaschung einen je nach gegebener Versorgungssituation unterschiedlichen Zeitbedarf aufweisen kann, kommt ENP verglichen mit anderen Zeitwertsystemen der Realität dann doch deutlich näher.

Ursprung der in den ENP-Interventionen hinterlegten Zeitwerte

Der Prozess der Hinterlegung von Zeitwerten zu ENP-Maßnahmen hat im Jahr 1996 begonnen und wurde gemeinsam mit der ersten Softwareanwendung im klinischen Bereich kontinuierlich mittels Fokusgruppen mit Pflegenden justiert. Durch eigene Zeitwertmessungen im Rahmen von Forschungsarbeiten wurden die ENP-Zeitwerte weiter verfeinert und justiert. Zudem werden wann immer möglich aufwandsbezogene Angaben aus der wissenschaftlichen Fachliteratur, die zur Weiterentwicklung von ENP herangezogen wird, berücksichtigt und umgesetzt. Nicht zuletzt erfolgte eine umfassende Verifizierung und Adaptierung der ENP-Zeitwerte im Zuge eines Mappings (d. h. einer Verknüpfung) von ENP mit der Klassifikation LEP-Nursing 3 (LEP = Leistungserfassung in der Pflege), in deren Zuge die jeweiligen Zeitwerte abgeglichen wurden und eine hohe Übereinstimmung festgestellt werden konnte. Ebenso wie die fachlichen Inhalte in ENP erfahren die hinterlegten Zeitwerte eine kontinuierliche Überprüfung und Weiterentwicklung. Der größtmöglichen Sorgfalt bei der Erarbeitung und Pflege der Zeitwerte in ENP ungeachtet sollte in Einrichtungen, die ENP im Rahmen einer elektronischen Akte einsetzen, grundsätzlich die Möglichkeit bestehen, die ENP-Zeitwerte durch eigene Zeitwerte zu überschreiben. Dies kann in speziellen Settings und Fachbereichen notwendig und sinnvoll sein, bei denen vielerlei pflegerische Tätigkeiten hinsichtlich ihres zeitlichen Aufwandes deutlich vom durchschnittlichen Zeitbedarf abweichen. Ein mögliches Beispiel wäre etwa die neurologische Frührehabilitation.

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